25. November – 15. Dezember 2011
„Pictura Dantis“
Zu Rasso Heckers von der „Divina Commedia“ inspiriertem Triptychon.
Seit nunmehr fast 700 Jahren zählt Dante Alighieris (1265–1321) „La divina commedia“ (Die Göttliche Komödie) zu den grundlegenden Epen der christlich-abendländischen Kultur. In ihrer Wirkung vergleichbar mit der Prägekraft der homerischen Epen, Ovids Metamorphosen und der Bibel selbst. Titelmäßig bekannt ist Dantes Monumentalepos fast allen, wirklich von Deckel zu Deckel gelesen und durchgearbeitet haben es aber nur wenige; denn die „lectura dantis“ ist eine Ausdauer und Geduld verlangende Bemühung. Da wundert es kaum, dass bald nach Dantes Tod Künstler des Quatrocento auf den nahe liegenden Gedanken verfielen, Dantes Gedicht zu bebildern. Sandro Botticellis Illustrationen zieren bis heute viele Ausgaben der „Göttlichen Komödie“ und in der Publikumsgunst kommen ihnen von späteren Versionen wohl nur noch die Imaginationen des französischen Romantikers Gustav Doré gleich.
In die Tradition der illustrativen Bebilderung der „Divina Commedia“ fügt sich der Münchner Maler Rasso Hecker mit seinem Dante-Projekt aber nicht ein. Er geht weiter und darüber hinaus. Die drei Teile des Epos sind ihm die Inspirationsquellen für das eigene, freie malerische Schöpfungsgeschehen. Rasso Hecker hält sich an Dantes Abfolge, die auf die Hölle – das Inferno – den Läuterungsberg, im Original das „purgatorio“, folgen lässt, bevor es dann am Schluss zur Apotheose im Paradies kommt. Strenger noch als Dante folgt der Maler dem Symmetrieprinzip. Die drei Leinwände haben dasselbe Format. Es handelt sich um Querformate, die drei Meter lang und 1,55 Meter hoch sind. Die Entstehungszeit der drei Gemälde erstreckte sich über die letzten eineinhalb Jahre, wobei der Maler das Purgatorium, jenes schwer fassliche Zwischenreich zwischen Hölle und Paradies, als letztes thematisiert hat. Wer es gerne so sehen möchte, der entdeckt auf den Leinwänden zwar noch Spuren, die als Verweise auf die erfahrbare Alltagswirklichkeit interpretiert werden können. In der Hauptsache entfaltet sich aber auf den drei Leinwänden eine Farbdramaturgie. Die Ungegenständlichkeit dieser Dramaturgie unterstreicht zum einen die Bedeutung der Farbe, losgelöst vom Formproblem, zum anderen reflektiert sie die generelle Abstraktheit der drei Sphären, in denen Dantes Jenseitsfahrt spielt. Wollte man die Reise der Hauptfigur – und das ist, überraschend modern aufgefasst, niemand anders als das alter ego des Autors Dante selbst, auf eine Kurzformal bringen, bietet sich die lateinische Spruchweisheit des „per aspera ad astra“ (auf dem rauen Pfad zu den Sternen) an. Konsequenterweise hat der Maler diesen Weg vom Dunkel ins Licht auch beim Entstehungsprozess seiner Bilder befolgt. Auf eine preußischblaue, also tief blauschwarze Grundierung trägt Rasso Hecker die helleren Farbschichten auf, so dass die hellsten Farbpartien zugleich auch die jüngsten sind. Die preußischblaue Grundierung schimmert stets als eine Art Erinnerungsspur an das Dunkle, an die Vergangenheit, an den Beginn der Zeit hindurch. In den am stärksten übermalten und durchgearbeiteten Werken bleibt sie zumindest noch am Rand sichtbar. Darstellungen jenseitiger Welten und Sphären neigen dazu ins Monumentale, Grenzenlose oder Riesengroße auszuufern. Dieser Versuchung ist Rasso Hecker nicht erlegen, indem er seine Dante-Variationen auf ein menschliches Maß bezieht, die Weite seiner ausgestreckten Arme. So wird auch deutlich, dass der Mensch der Bezugs- wie Zielpunkt dieser Werke bleibt.
Die Präsentationsform
Die konsequent durchgehaltenen Bezüge zwischen Dantes Epos und Heckers Bildtrias beschränken sich nicht auf die Malerei, sondern sie setzen sich in der Präsentation der Werke fort. Bereits die Wahl einer ehemaligen Bankschalterhalle als Ausstellungsort lässt sich als Anklang an Florenz, Dantes Heimatstadt und Geburtsstätte des neuzeitlichen Bankwesens, deuten. Stößt die Raumfantasie des Florentiner Dichters und Diplomaten in die Tiefe der Erde vor, so hat sich der Münchner Maler für eine Verdoppelung des Raums im Horizontalen entschieden. Durch Stoffbahnen, die nur von oben Licht hineinlassen, entsteht ein kapellen-artiger Binnenraum, in dem das Dante-Triptychon seine ganz eigentümliche Wirkung entfalten kann. Zunächst wird diese Raumsituation als förderlich für die Konzentration auf die Bilder wahrgenommen. Alles nicht unmittelbar zu ihnen Gehörige wird so ausgeblendet. Beim weiteren Nachdenken tritt dann eine weitere zentrale Errungenschaft Dantes hervor. Dante hat das Jenseits aus der sakralen Sphäre herausgeführt, es säkularisiert und ihm einen Platz in einer betont bürgerlichen Öffentlichkeit verschafft. Die Reflektion über das jenseits der Erfahrungen Liegende bleibt nicht mehr auf eine exklusive Priesterkaste beschränkt, sondern der Diskurs darüber wird für alle, die daran teilnehmen möchten, geöffnet. Rasso Heckers Gemälde über Inferno, Fegefeuer und Paradies erinnern an diesen Umstand und fordern dazu auf, den Raum des Jenseitigen und Absoluten nicht links liegen zu lassen, sondern ihn erneut zu betreten und damit für sich selbst zu beanspruchen.
Rüdiger Heise
(zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen)